Alumni 1966

Wir wollten es nicht auf die Spitze treiben – ein etwas später Abiausflug

Auch in Zeiten sozialer Medien ist es ein guter Brauch, sich hin und wieder im realen Leben zu begegnen: so auch der Abijahrgang Herbst 1966 des Gymnasiums Schorndorf. Gymnasium Schorndorf? Ja, so steht es in unserem Abizeugnis. Es gab damals in Schorndorf nur ein – fast namenloses – Gymnasium. Und Herbst 1966? Gab es auch ein Abi Frühjahr 1966? Ja; wegen der Umstellung des Starts in das neue Schuljahr von Frühjahr – nach den Osterferien – auf Herbst – nach den Sommerfreien – gab es zwei Kurzschuljahre. Das erste Kurzschuljahr war zugleich unser letztes Schuljahr. Es dauerte nur wenige Wochen, von den Osterfreien bis zu den Pfingstferien, dann war schriftliches Abitur, nach den Sommerferien mündliches Abitur. Es gab keinen Abischerz, keinen Abiausflug und keinen Abiball. Und dann ging es in den nächsten Lebensabschnitt. Wir waren sozusagen ein frühes G 8 – und keinem von uns hat das geschadet. Zur Vorbereitung des „Goldenen Abiturs“ im Herbst 2016 gab es den nostalgisch anmutenden Vorschlag, auch die Schule zu besuchen. Die Enttäuschung war groß als dem Tippgeber mitgeteilt werden musste, dass anstelle des Blicks in unsere Vergangenheit nur der Blick in die Baugrube des Burggymnasiums möglich sei. Ungelöst war auch, welche Tradition wir pflegen, die des Gebäudes oder die der Menschen, die darin gewirkt haben. Wir entschieden uns für die Menschen. Und die segeln seit 1970 unter dem Namen Max-Planck-Gymnasium. Zum „Goldenen Abitur“ im Oktober 2016 erschien eine beachtliche Zahl Ehemaliger, auch Lehrer, in Schorndorf, genoss zunächst den Blick von der Skybar über die Stadt, wandelte dann auf den Spuren Gottlieb-Daimlers durch die Stadt und beschloss den Tag im Kesselhaus. Zwei von uns leben schon seit vielen Jahren in Norwegen. So kam zu sehr später Stunde die Idee auf, nicht nur die alten Schorndorfer Pfade auszutreten, sondern auch „auswärts“ ein Treffen zu veranstalten. Am folgenden Tag besuchten wir im Theaterhaus Stuttgart die Ausstellung „Airlines-Vogelspuren in der Luft“ unseres Co-Abiturienten Lothar Schiffler. Der Abschluss im Höhencafé Killesberg, die Höhenluft, ließ die späte Idee des Vorabends nicht verwehen, sondern vertiefte sie.

Nach längeren Planungen des dreiköpfigen Organisationsteams startete das Projekt am Freitag, 20. Juli 2018, um 18 Uhr in Oslo. Wer mit der Kühle des Nordens gerechnet hatte, ging fehl. Das von bewaldeten Hügeln umgebene, am Fjord gelegene Oslo überraschte mit hochsommerlichen 35 Grad, wärmer als derselbe Tag im sonnenverwöhnten Remstal, aber ideal für die erste Gemeinschaftsver-anstaltung, eine Schiffsrundfahrt im Oslofjord mit Shrimps und Weißwein. Der folgende Tag begann mit einer Stadtführung durch die Osloer Innenstadt, die dann in eine lange Wanderung mit unserer „Norwegerin“ entlang der Hafenpromenade mit ihrer avantgardistischen Architektur überging. Am Sonntagmorgen stand auf dem Programm eine Fahrt mit der Bahn durch endlos erscheinende Wälder und Berglandschaften von Oslo nach Stavanger. Dort empfing uns unser „Norweger“, geleitete uns ins nahe gelegene Hotel und dann zu einem Rundgang durch Gamle Stavanger, die Altstadt. Der sportliche Höhepunkt der Reise war für Montag angesagt. Eine Bergwanderung führte auf den Preikestolen (Predigerstuhl oder Kanzel), eine Felskante mit einem Plateau von ca. 25 auf 25 m, die rund 600 m über dem Meeresspiegel liegt. Der Aufstieg war beschwerlich. Auf einer Strecke von gut zwei Kilometern waren rund 350 Höhenmeter zurückzulegen. Die Granitfelsen, etliche Bergseen und der Blick in den Lysefjord waren einzigartig. Der Weg war zum Teil sehr steil und führte auch durch unwegsames Gelände. Aber (fast) alle waren oben, obwohl wir schon über Siebzig sind. Es gab keinerlei Abschrankung. Mutige robbten auf dem Bauch zur Kante, um einen atemberaubende Blick in die Tiefe zu werfen. Am Dienstag bewunderten wir den Preikestolen bei einer Rundfahrt im Lysefjord von unten und suchten nach einer kurzen Kaffeepause Museen Stavangers auf, vor allem das beeindruckende Norwegische Ölmuseum, das die technische Entwicklung der Erdölförderung vor Norwegens Küsten zeigt und auch ökologische Aspekte beleuchtet. Sehenswert ist auch das kleine Norwegische Hermetikmuseum, das einzige Museum auf der Welt, in dem die Geschichte der Konservenindustrie dargestellt ist (dort – und nicht im Ölmuseum – geht es auch um Ölsardinen). Am Mittwochfrüh brachte uns eine Fjordlinefähre in fünfeinhalb Stunden von Stavanger nach Bergen. Die Küstenlinie versteckte sich zunächst hinter einer Nebelwand. Aber die Sonne obsiegte auch an diesem Tag und beleuchtete die eindrucksvolle Inselwelt vor Norwegens Küste. Bergen ist mit rund 280.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Norwegens, war viele Jahre auch Hauptstadt und im Mittelalter Sitz eines wichtigen Handelskontors der Hanse. Einen ersten Überblick bot die Fahrt mit der Seilbahn auf den Floyen, einen Haus- und Aussichtsberg Bergens, von dem wir einen traumhaften Blick auf Stadt und Hafen genossen. Der darauffolgende Tag begann mit einem Stadtrundgang durch das Universitätsviertel mit prächtigen Bürgerhäusern, über die Innenstadt und die Klostergate zur Deutschen Brücke, früher der Sitz zahlreicher Kaufleute der Hanse. Bergen war der nördlichste Punkt unserer Tour. Das Nordkap oder gar Spitzbergen waren nicht das Ziel. Wir wollten es ja nicht gleich auf die Spitze treiben. Am Freitag ging es mit der Bergenbahn zurück nach Oslo. Die Fahrt führte, teilweise oberhalb der Baumgrenze, vorbei an Gletschern und von diesen rundgeschliffenen Bergen durch den Nationalpark Hardangervidda über Finse, den mit 1.222 m. ü. NN höchstgelegenen Bahnhof Nordeuropas. Doch damit nicht genug. Am Abend trafen wir uns auf den Höhen über Oslo im Garten unserer „Norwegerin“ und ließen die Reise bei Lachs und Rentierbraten ausklingen.

Das klingt nach einer reibungslosen Tour ohne spektakuläre Ereignisse. Aber die Trolle, listenreiche Kobolde, haben auch unsere Gruppe nicht verschont. Es begann damit, dass einer von uns in Frankfurt beim Umsteigen das Flugzeug verpasste, dass ein Teil des Gepäcks erst drei Stunden nach den Passagieren mit einem anderen Flugzeug in Oslo ankam und dass drei von uns die acht Minuten zu früh (!) abfahrende Fähre nach Bergen verpassten und die Strecke mit dem Bus zurücklegen mussten. Auch das bot aber einen eindrucksvollen Blick auf die norwegische Küstenlandschaft. Letzten Endes haben sich die Trolle nicht durchgesetzt. Beim Abendessen war die Gruppe immer komplett, jeder hatte rechtzeitig vor der Nachtruhe, die allerdings in Norwegen um diese Jahreszeit sehr kurz ist, seinen Koffer wieder und viel zu erzählen. Soviel zum Abiausflug des Jahrgangs Herbst 1966, zur Ausgestaltung einer guten Tradition. Tradition heißt nicht Asche aufbewahren, sondern die Flamme weiter zu tragen (Jean Jaures). Was haben wir gemacht? Weder das Eine, noch das Andere. Wir sind einfach – wenn auch spät – gemeinsam auf Reisen gegangen und es hat mächtig Spaß gemacht.